Doppelt
solang, als ich male, ist es her, dass ich das Rieder Gymnasium verlassen habe,
um in Wien die Schneiderei zu erlernen, die in den Arbeiten, die Sie sehen
werden, so unverhofft fröhliche Urständ feiert.
Denn ich habe mich, nach Jahren
der in Ostberlin erarbeiteten und hauptsächlich von Kokoschka inspirierten
Malerei, entschlossen, die Staffelei zwar beizubehalten, aber den Pinsel und
die dünnflüssigen Eitempera-Farben sein zu lassen und zu Nadel, Nylonfaden
und
schwerer Schneiderschere zurückzukehren - um anzuschließen an die bis zu einem
selbstgemachten Teddybären zurückreichende Liebe zur Schneiderei. Eine Rückkehr
zu den Wurzeln, könnte man sagen.
Berge
von Stoffen mit unterschiedlichsten Mustern und Ornamenten türmen sich seitdem
in meinem Atelier. Aus ihnen schneide ich jetzt die Pinselstriche aus, die ich
auf die Leinwand nadle, bevor ich sie meiner alten Bernina-Nähmaschine
unterziehe.
Angenommen,
ich hätte mir nicht die Welt der Stoffe, sondern bemaltes Porzellan, von dem in
meiner Kindheit auch viel vorhanden war, zum Ausgangsmaterial genommen, dann
hätte ich, anstatt zur Schneiderschere, zu einem Hammer greifen müssen, um aus
Scherben Bilder zusammenzufügen, aus Teeservices und heiligen Suppenschüsseln.
Ich
male mit Stofffleckerln, was nur ein leises Geräusch erzeugt, ein Flüstern und
Knistern, und entnehme die Farbflecken, die ich brauche, den Stoffen, die ich
gesammelt habe. So als wären alle Pinselstriche in ihnen enthalten und ich
bräuchte sie nur herauszuklauben: die Zehen der Proserpina oder die um
Hieronymus trauernden Mönche.
Ich
habe die Arbeiten, die Sie sehen werden, "Tuchfühlungen" genannt.
Da
ist zunächst Vittore Carpaccio, dem ich mit den unterschiedlichsten Geweben und
Mustern auf den Leib rücke, um Kontakt mit ihm aufzunehmen: mit diesem Raum im
Osten von Venedig, diesem kleiner Andachtsraum, den Carpaccio mit wuchtigen
Gemälden ausgestattet hat.
Es
war, glaube ich, kurz nach der Entdeckung Amerikas, als die Kartoffel Venedig
schon erreicht hatte. Die Auftraggeber waren Ortsfremde, Slawen, Männer, die
auf venezianischen Schiffen und in der Werft schufteten. Und was auf den
Bildern dargestellt ist, ist eine Befreiung, eine Verwandlung des
Rabenschwarzen ihres Lebens, erst in einen gedemütigten Drachen, der enthauptet
wird, dann in einen Dämon, der ausgetrieben wird, in einen verletzten Löwen,
der in menschliche Obhut genommen wird, und schließlich in ein Hündchen, mit
dem man zusammenlebt.
Es
ist ein spielerischer Umgang mit dem Dunklen: der Drache wird gedemütigt,
zusammengestaucht, enthauptet, bleibt aber zurück als Bedrückung, die wie ein
Dämon ausgetrieben wird, die sich in einen furchterregenden Löwen verwandelt,
dem man sich öffnet, den man in sein Herz lässt und der sich am Ende als
Hündchen entpuppt - bevor die Angst einen wieder befällt und alles von vorne
beginnt - denn die Bilder hängen in Venedig im Kreis.
Was
also im Leben bedrängt, bedroht, einem den Boden unter den Füßen entzieht, wird
langsam, Schritt für Schritt in Ordnung gebracht - das ist das Hoffnungsfrohe
dieses Raumes im Osten von Venedig. Man könnte sich dieses „Ordnung schaffen“
als ein Muster vorstellen, das die Heilung so zusammenfasst, dass man sich
daraus ein Kleid nähen könnte oder Vorhänge oder beruhigende Polsterbezüge, ein
Muster, reichverschlungen, auf dem man die Transformation als Arabeske
dargestellt sieht: Ein "Drache" auf dem Weg zum
"Schoßhund", ein Abwandern des dutzende Quadratmeter großen
Gemäldezyklus in ein lockeres Jerseykleid, das sich die Zusammenhänge merkt.
Solche
Stoffe, die sich Zusammenhänge, Stile, Ausdrucks- und Verarbeitungsmodi gemerkt
haben, sind es, denen ich meine Grübchen, Falten, Zehen und Achselhöhlen
entnehme. Ich kitzle sie mit den Augen hervor und schneide sie dann mit der
Schere aus. Carpaccio ist also einer der Hauptstoffe, aus denen ich Teile der
Ausstellung herausgeschnitten habe - sein Raum, dieser verträumte, fensterlose,
finstere, kleine Andachtsraum im Osten Venedigs, 321 Kilometer von uns
entfernt: die Scuola Grande degli Scavoni.
Ein
zweiter Stoff ist der ebenfalls fensterlose, aber weiße, großzügige, moderne
Raum, in dem die Ausstellung stattfindet, der anstelle von Drachen und
Prinzessinnen, eine Kassa, eine herrliche Truhe und eine hübsche Treppe zu
bieten hat.
Wie
gesagt, es sind "Tuchfühlungen", die ich präsentiere - mit Ängsten
und finsteren Heilungsprozessen im Süden und mit den räumlichen Verhältnissen
und familiären Verstrickungen hier, die ebenfalls zu Muster anregen - da ist
vor allem die große Truhe, die ernstgenommen und gespiegelt wird, weil sie an
bemalte Truhen daheim denken lässt. Sie ist es, die die gegenüberliegende Wand
in ihren Bann zieht. Aber nicht nur die braune Truhe, auch die vorhandene
Beleuchtung habe ich versucht ins Herz zu schließen, wie Hieronymus den Löwen.
Mit
Mustern arbeiten, das heißt: mit Wiederholungen arbeiten, mit Vergrößerungen
und Verkleinerungen: mit einem Blick hinaus auf die örtlichen Gegebenheiten,
auf ein Stück Hausruck, einer Blumenwiese im kommenden Sommer, über der,
aufgrund der Druckverhältnisse in einem Museum, wie eine Gewitterwolke ein
Mythos hängt, ein Kunstwerk aus dem Süden: Berninis Raub der Proserpina, eine
Vorahnung des kommenden Winters, des Rückzugs des Chlorophylls in unterirdische
Speicherorgane, Knollen, Zwiebeln. Eine andere Rückkehr zu den Wurzeln also.
Hineinverstrickt
in diesen Austausch ist Carpaccios über die Welt verstreuter Stephanus-Zyklus:
ein Abgesandter offensichtlich der gegenüberliegenden Wand, der sich, wie bei
einer Arbeit, die sich mit Mustern beschäftigt, nicht anders zu erwarten,
einmischt und mitredet und, passend zu der Flugbahn mit Sternschnuppe, die
Geschichte des ersten Märtyrers Stephanus beisteuert, über den ein Steinregen
niederging.
Und
das Muster, das so entsteht, erfasst den Raum wie eine Melodie. Anstelle von
Engeln, die unsere Märtyrer sonst begleiten, sind es zwei Feuerwehrmänner, denn
auch die Gegenwart will mitspielen in dem Muster, das sich die Treppe
hinaufbewegt und den Himmel streift, der sich dem Stephanus geöffnet und der
Proserpina verschlossen hat. Danach ein paar „Nacktstücke“, Anspielungen auf
die nackten Leiber der entführten Göttin und ihres Entführers, und dann ein
Sinnbild des Winters, der über den beiden tobt: ein alter erschöpfter Mann auf
einer blauen Säule.
Mit
anderen Worten: Muster sind mein Ausgangsmaterial und mein Ziel. Es ist ein
Kreis. Wie sich auf einem Stoff die Motive eines Musters wiederholen und einen
Rapport ergeben, so wiederholen sich rund um die Besucher der Ausstellung die
Motive, wird hier und da ein Landschaftsmotiv angestimmt, auf Carpaccio
angespielt, aufs Hier und Jetzt. Es ist eine Tradition, auf die ich
zurückgreife, die zu der Zeit, als die Kartoffel nach Italien kam, um sich
griff und eng mit der antiken Wandmalerei verknüpft ist.
Dieser
Tradition zu folgen, ist, als würde man Persephone folgen und wie Raffael in
eine dunkle Grotte des domus aurea des verrückten Nero hinabsteigen und sich
erstaunt umschauen. Was man dort sieht: Ausblicke in Landschaften, schwebende
Figuren und Köpfe, eine künstliche Welt berührt die reale.
Übrigens:
wenn sie auf der Treppe weitergehen, werden sie auf einen sich erstaunt Notizen
machenden Raffael stoßen und ganz am Ende, als Ausgang aus der Grotte: einen
Osterspaziergang.
Lilly Hagg